BIM Standards
Modelle von Gebäuden werden bereits seit Jahrhunderten verwendet, um Entwürfe und Konstruktionen darstellen zu können. Heute bietet uns die Computertechnologie die Möglichkeit, Modelle in einer vollständig digitalisierten Umwelt zu entwickeln und zu präsentieren. Im Gegensatz zu anderen Industrien, wie z.B. der Automobilindustrie, hat die digitale Revolution in der Planungs- und Bauindustrie (AEC-Industrie) gerade erst begonnen. Viele Architekten und Ingenieure nutzen bereits neue additive Software Applikationen, die ihnen über das 2D Zeichnen hinaus auch die Möglichkeiten geben mit Hilfe eines virtuellen 3D Modells zu entwerfen und zu planen. Die Austauschformate jedoch, die zwischen den Planungsbeteiligten genutzt werden, sind weiterhin stark 2D geprägt. Nur wenige Architektur- und Ingenieurbüros setzten bereits primär 3D Modelle als Planungsgrundlage ein und nutzen diese auch zum Austausch von planungsrelevanten Informationen. Es stellt sich also die Frage, warum es im Bereich der Datenübergabe und somit im Bereich der Informationsbereitstellung im Allgemeinen noch zu keinem flächendeckenden Wandel in der AEC-Industrie gekommen ist?
Bereits 2007 habe ich einen Artikel zum Thema Building Information Modelling zur Kenntnis nehmen dürfen, der sich unter anderem mit dieser Fragestellung befasste. Erschienen im April 2007 in der Architectural Record unter dem Titel „Transformative Tools Start to Take Hold“ von Joann Gonchar (Band 195, Ausgabe 4, Seite 155-162), argumentiert die Autorin bereits damals, dass die BIM Technologie mehr als nur eine neue Art des Zeichnens ist, sondern vielmehr zu einem Paradigmenwechsel im Bereich der Planung und Baukonstruktion führen wird. Dazu weist Sie in ihrem Artikel explizit auf eine Problematik hin, die auch heute noch in vielen Ländern eine Herausforderung für die Architekten und Ingenieure darstellt: der Mangel an Standards für die Organisation und dem Austausch von Daten, die in einem BIM-basierenden Gebäudemodell enthaltenen sind. Ein Zitat, das Joann Gonchar in diesem Zusammenhang in ihrem Artikel wiedergibt, bringt noch heute diese vorherrschende Herausforderung auf den Punkt:
Wir verlassen uns immer noch auf Standards, die auf Basis einer 2D Planung entwickelt wurden. (Russel Wooten, Kirksay Associate, 2007)
Die Adaption und Nutzung gemeinsamer Standards ist ein wesentlicher Bestandteil der BIM Technologie. Das in diesem Zusammenhang die HOAI in ihrer aktuellen Form noch nicht als ausreichend bezeichnet werden kann, um ein BIM-basierendes Projekt „fair“ umsetzen zu können, habe ich bereits in meinem Blog Eintrag „BIM vs. HOAI“ dargelegt. Aber was können Unternehmen in Deutschland tun, um bereits jetzt BIM-basierende Projekte erfolgreich umzusetzen und somit dieser aktuellen Situation entgegenwirken zu können? Eine Möglichkeit ist das selbstständige Entwickeln und Etablieren von Grundlagen, die für ein BIM-basierendes Projekt eingesetzt werden können. Dazu empfiehlt es sich, auf bereits anerkannte Standards aufzubauen, die im Ausland entwickelt und in der Praxis etabliert sind.
Es gibt bereits einige Länder wie z.B. das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Statten, die in der Implementierung der BIM Technologie eine Art Führungsrolle übernommen haben. Blicken wir also zunächst über den Atlantik und betrachten die dort entwickelten Standards für BIM-basierende Projekte. Dort hat z.B. das National Institute of Building Sciences (NIBS) bereits 2007 die erste Fassung des sogenannten National Standard for Building Information Modelling (NBIMS) veröffentlicht, kurz US National BIM Standard. Seit 2012 gibt es dazu eine zweite Fassung des US National BIM Standard (V2.0). Primäres Ziel des NIBS ist die Gewährleistung der Zugänglichkeit von Informationen in der Planungs- und Konstruktionsphase sowie insbesondere während der Facility Management Phase des Gebäudes, damit eine Vielzahl von Projektbeteiligten auf die verfügbaren Daten zurückgreifen und somit ein Mehrwert für alle geschaffen werden kann.
Im Vereinigten Königreich ist der Einsatz der BIM Technologie bei der Vergabe von öffentlichen Großbauprojekten ab 2016 Pflicht. Daher ist hier das öffentliche Interesse an geeigneten Standards und Normen besonders hoch. Dazu wurde bereits 2009 die erste Fassung des sogenannten AEC (UK) BIM Standards veröffentlicht und 2012 durch eine Zweite Fassung mit dem Titel AEC (UK) BIM Protocol aktualisiert. In der Entwicklung der AEC (UK) BIM Standards wurden unterschiedliche nationale und internationale Grundlagen mit einbezogen. Dazu gehören z.B. neben dem BS1192: 2007 Dokument auch die zuvor genannten US National BIM Standards. Das primäre Ziel des AEC (UK) BIM Standards bzw. des AEC (UK) BIM Protocols ist die Bereitstellung einer einheitlichen Planungsgrundlage, die leicht adaptiert und innerhalb eines BIM-basierenden Projektes weiterentwickelt werden kann. Im Ergebnis sollen so die spezifischen Anforderungen zur Strukturierung von BIM Daten für alle Planungsbeteiligten definiert und vorgegeben werden können.
In diesem Zusammenhang möchte ich etwas genauer auf einen Abschnitt des AEC (UK) BIM Protocols eingehen, der die Methodik und Arbeitsweise in einem Modell im Zusammenhang der jeweiligen Detailierungsgraden, dem sogenannten „Level of Detail“ definiert. Grundsätzlich besteht ein Modell immer aus mehreren sogenannten Modellelementen oder Modellelementgruppen, die eine physikalische (z.B. Wand), funktionale (z.B. Raum), oder ideelle (z.B. Lasteintrag) Planungskomponente repräsentieren, oder eine daraus gebildete Zusammenfassung (System, Gruppierung). Deren Detailierung ist im AEC (UK) BIM Protocol in drei Stufen unterteilt, um die spezifischen Anforderungen an die Inhalte der einzelnen Modellelemente sowie die Berechtigung ihrer Nutzung von der Planung, über die Konstruktion und den Bau des Gebäudes zu definieren:
G0 – Schematisch: Ein symbolischer Platzhalter zu Darstellung eines Objektes, das nicht skaliert oder irgendwelche Dimensionsangaben enthalten muss. Besonders relevant für elektrotechnische Symbole, die voraussichtlich nicht als 3D Objekt vorhanden sein werden.
G1 – Konzept: Ein einfacher erkennbarer Platzhalter mit einem absoluten Mindestdetailierungsgrad, z.B. jede Art von Stuhl. Ein oberflächliche dimensionale Darstellung aus einem konsistenten Material: entweder „Konzept-Weiß“ oder „Konzept-Verglasung“.
G2 – Definiert: Enthält relevanten Metadaten und technischen Informationen und die ausreichend modelliert sind, um Art und Materialkomponenten zu identifizieren. Enthält typischerweise einen Grad an passenden 2D Details für den „gängigen“ Maßstab, die für die meisten Projekte ausreichend sind.
G3 – Visualisiert: Es ist identisch mit dem Grad 2, wenn aufgelistet oder durch Beschriftung angegeben. Es unterscheidet sich nur in der 3D Darstellung. Wird nur verwendet, wenn das Objekt nah an der Kamera positioniert und somit der Umfang der Detailierung für eine 3D Ansicht notwendig ist. Komponenten können mehrmals und mit unterschiedlichen Qualitäten in der Bibliothek enthalten sein. Entsprechend muss die Benennung dies widerspiegeln.
In den Vereinigten Staaten wird ein ähnliches System verwendet, das die Methodik und Arbeitsweise in einem Modell im Zusammenhang der jeweiligen Entwicklungsgrade, dem sogenannten „Level of Development“ definiert. Dazu wird die Qualität der Modellelemente nicht in drei sondern in fünf Entwicklungsgrade bzw. in LOD 100 bis 500 unterteilt:
LOD 100: Das Modellelement kann mit Hilfe eines Symbols oder einer anderen generische Darstellung graphisch im Modell dargestellt werden, aber es entspricht nicht den Anforderungen der LOD 200. Informationen die in Abhängigkeit zum Modellelement stehen (z.B. Kosten pro Quadratmeter, Tonnage von HLSE, etc.) können von anderen Elementen abgeleitet werden.
LOD 200: Das Modellelement wird grafisch im Modell als generisches System, Objekt oder Baugruppe mit ungefähren Angaben zur Menge, Größe, Form, Ort und Orientierung dargestellt. Nicht-grafische Informationen können ebenfalls im Modellelement enthalten sein.
LOD 300: Das Modellelement wird grafisch im Modell als ein spezifisches System, Objekt oder Baugruppe mit Angaben zur Menge, Größe, Form, Ort und Orientierung dargestellt. Nicht-grafische Informationen können ebenfalls im Modellelement enthalten sein.
LOD 350: Das Modellelement wird grafisch im Modell als ein spezifisches System, Objekt oder Baugruppe mit Angaben zur Menge, Größe, Form, Orientierung und den entsprechenden Schnittstellen zu anderen Bausystemen dargestellt. Nicht-grafische Informationen können ebenfalls im Modellelement enthalten sein.
LOD 400: Das Modellelement wird grafisch im Modell als ein spezifisches System, Objekt oder Baugruppe mit Angaben zur Menge, Größe, Form, Ort und Orientierung dargestellt und enthält zudem Informationen zur Detaillierung, Fertigung, Montage und Installation. Nicht-grafische Informationen können ebenfalls im Modellelement enthalten sein.
LOD 500: Das Modellelement ist eine überprüfte Darstellung mit Angaben zur Menge, Größe, Form, Ort und Orientierung. Nicht-grafische Informationen können ebenfalls im Modellelement enthalten sein.
Unabhängig davon, ob die Methodik und Arbeitsweise in einem Modell nach Detailierungsgraden, Entwicklungsgraden oder einer Mischung dieser beiden Standards definiert wird, wird jeder dieser Grade nach und nach ergänzt und enthält daher alle grafischen und nicht-grafischen Eigenschaften des Vorangegangenen. Somit haben die verantwortlichen Projektbeteiligten bei der Vervollständigung der vereinbarten Leistungsphasen die Grade entsprechend schrittweise zu erreichen.
Werden nun diese bereits vorliegenden BIM Standards als Grundlage zur Entwicklung und Vorgabe eines eigenen projektspezifischen BIM Standards genutzt, können grafische und nicht-grafische Informationen im Projekt gemeinschaftlich entwickelt und klassifiziert werden. Im abschließenden Schritt muss nun lediglich noch festgelegt werden, welche Informationen wann kommuniziert und ausgelesen werden sollen. Dazu wurde im Vereinigten Königreich die sogenannte „UK BIM Element and Attribute Demand Matrix“ entwickelt. Basierend auf dem sogenannten „COBie Format“ (Construction Operation Building information exchange) kann diese Matrix als Grundlage genutzt werden, um zusätzliche Standards für die im Modell zu verarbeitenden Informationen festzulegen. So kann im Ergebnis vordefiniert werden welche Information zu welcher Projektphase durch welchen Projektbeteiligten zu verarbeiten, auszulesen und in der Regel als Excel Datei bereitzustellen sind.
Generell ist die Akzeptanz des COBie Formats noch verhalten aber es ist zu beobachten, dass in diesem Zusammenhang auch zunehmend das IFC Format (Industry Foundation Classes) genutzt wird. Basierend auf den Daten einer Umfrage des National Building Standard (NBS) zur Nutzung der unterschiedlichen Formate in BIM Projekten, die im April 2015 im NBS National BIM Report 2015 veröffentlich wurden, liegt die derzeitige Nutzung des COBie Formats bei weniger als 20%.
Im Gegensatz zum COBie Format steigt der Anteil des IFC Formats stetig an. Im Jahr 2012 bei 39%, ist der Wert in der aktuellen Umfrage bereits auf fast 50% angestiegen.
Ob sich im weiteren Verlauf der Entwicklung beide Formate, das IFC und das COBie Format in der AEC-Industrie etablieren können, ist zum aktuellen Zeitpunkt nur schwer zu beurteilen. Insbesondere das Excel-basierende COBie Format stößt in seiner Anwendungsart bei vielen Nutzern auf eine eher ablehnende Haltung, da es dem Grundprinzip einer gemeinsamen nutzbaren Datenumgebung wiederspricht.
Die Veröffentlichung eines deutschen BIM Standards ist ebenfalls noch nicht abzusehen. Als positives Zeichen kann jedoch der Endbericht bewertet werden, der am 29. Juni 2015 durch die Reformkommission „Bau von Großprojekten“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur veröffentlicht wurde. In diesem Endbericht kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass digitale Methoden wie die BIM Technologie verstärkt eingesetzt werden sollten, um die Erstellung einer konsistenten Planung z.B. durch Kollisionsprüfungen und Simulationen erheblich zu unterstützen. Zur Förderung empfiehlt die Kommission die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen, damit die BIM Technologie in zunehmendem Umfang bei der Planung und Realisierung von Großprojekten angewendet werden kann. Dazu wird darauf hingewiesen, dass insbesondere digitale Anforderungen festgelegt, Standards vereinheitlicht und Konzepte zum Planungs- und Bauablauf entwickelt werden müssen.